Körper. Körperlichkeit und Körperbilder in der deutsch-jüdischen Geschichte

Körper. Körperlichkeit und Körperbilder in der deutsch-jüdischen Geschichte

Veranstalter
Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg
Veranstaltungsort
Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.04.2014 - 02.07.2014
Von
Miriam Rürup

Der Körper ist ein wichtiger Teil der eigenen Identität. Dies gilt auch – oder vielleicht sogar in einem besonderen Maße – für Juden. So symbolisiert die Beschneidung jüdischer Jungen wenige Tage nach ihrer Geburt den Eintritt in ihren Bund mit Gott. Neben der Beschneidung gibt es verschiedene andere Rituale und Diskussionen im und über das Judentum, die den Körper betreffen.

Mit einer Vortragsreihe möchte das IGdJ der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, sich mit verschiedenen Aspekten der Körperlichkeit im Judentum auseinanderzusetzen, zu denen Fragen der Verhütung, der Sexualität und der Gesundheit gehören. Daneben sollen konkrete historische Situationen beleuchtet werden, die von Gewalt geprägt waren und bei denen der Körper und körperliche Merkmale für Juden eine zentrale Bedeutung hatten. Darüber hinaus wird das Bild vom Juden in der Kunst oder in Diskussionen über Rassentheorien beleuchtet.

Vortragsreihe zusammengestellt von Inka Le-Huu (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)

Programm

Mo 07.04.14 18.30 Uhr Vortragsraum 2-023
„Gutes Bevölkerungsmaterial“: Jüdische Körper- und Gesundheitsvorstellungen im Polen der Zwischenkriegszeit

Katrin Steffen, Nordost-Institut Lüneburg an der Universität Hamburg (IKGN e.V.)

Jüdische Gesundheitsexperten, Wissenschaftler und Publizisten diskutierten in Polen während der Zwischenkriegszeit intensiv über Fragen der Gesundheit der jüdischen Bevölkerung, über Geburtenkontrolle, über den Einfluss von „rassischen“ Faktoren auf die geringere oder höhere Verbreitung von Krankheiten und berieten, ob spezielle eugenische Maßnahmen den „biologischen Wert der jüdischen Massen“ steigern könnten. Diese Debatten entstanden oft in Reaktion auf eine potenziell antisemitisch eingestellte Umwelt, in der von „jüdischer Überbevölkerung“ gesprochen und postuliert wurde, eine Assimilation von Juden sei „aus eugenischer Sicht unerwünscht.“ Der Vortrag wird die Spezifik dieser Debatten analysieren und aufzeigen, wie der „jüdische Körper“ im Sinne von Foucault zu einem Ort wurde, in den sich Diskurse, kulturelle Praktiken und Macht einschreiben konnten.

Di 29.04.14 18.30 Uhr Vortragsraum 2-023
Gut aussehen. Wie Gewalt und Verfolgung Körperbilder und Körperpraktiken verändern
Michaela Christ, Norbert Elias Center (NEC), Universität Flensburg

Grundlegend für die NS-Ideologie war die Unterscheidung zwischen Juden und Ariern. Damit einher gingen spezifische Vorstellungen davon, was einen typisch jüdischen oder arischen Körper ausmachte. Bedeutsam wurden die entsprechenden Körperbilder im Kontext des Holocaust: Täter nutzten ihr vermeintliches Wissen über jüdische Körper, um Juden aufzuspüren, die versuchten ihrer Gewalt zu entkommen. Jüdische Männer, Frauen und Kinder in ganz Europa investierten Zeit, Energie und Ideen darin, nicht auszusehen wie Juden,sondern ihr Aussehen und Auftreten, ihre Sprache und Gesten ihrer nicht-jüdischen Umgebung anzupassen. Helferinnen und Helfer unterstützten Opfer und Täter in ihrem Tun. Der Vortrag erläutert anhand diverser Beispiele, welche sozialen Dynamiken das Handeln aller Beteiligten hervorbrachte und was eine Razzia in einem ukrainischen Kinderheim mit der steigenden Nachfrage nach blondierten Haaren in einem Frankfurter Friseurgeschäft zu tun hat.

Di 06.05.14 19 Uhr Vortragsraum 2-023
Deutsche TV-Krimis und deutsche Emotionen: Das Bild des Juden im Tatort
Daniel Wildmann, Queen Mary-University of London

Visuelle Sprache ist zentral für antisemitische Erzählungen. Aber wie formulieren visuelle Quellen antisemitische Erzählungen und was macht diese Erzählungen attraktiv und akzeptabel? Oder in anderen Worten: Wie verbinden sich diese Bilder mit Gefühlen und moralischen Normen? Der Vortrag diskutiert diese Fragen am Beispiel zweier Folgen der populären Krimi-Serien Tatort und Schimanski: „Der Schächter“ (Tatort, Dezember 2003, ARD) und „Das Geheimnis des Golem“ (Schimanski, Januar 2004, ARD).

Mi 21.05.14 18.30Uhr Lesesaal EG
Der wissenschaftliche Blick auf den „jüdischen Körper“
Klaus Hödl, Universität Graz

Der Körper der Juden war seit dem Mittelalter, vermehrt aber seit dem Einsetzen des wissenschaftlichen Rassismus im 19. Jahrhundert, ein Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen und Forschungen. Dabei ging es hauptsächlich um die Darstellung der Juden als „anders“, als different von der nichtjüdischen Bevölkerung. Entgegen verbreiteter Erwartungen wurden solche Untersuchungen nach dem Holocaust fortgesetzt. Sie finden in der Gegenwart ihren Niederschlag in genetischen Forschungen. Damit wird keine direkte Kontinuität von der Rassenhygiene zur Genetik postuliert. Allerdings gibt es bemerkenswerte Parallelen.

Mo 26.05.14 18.30 Uhr Vortragsraum 2-023
Beschneidung: Eine Frage der Identitätspolitik und/oder Gesundheit?
Sander Gilman, Emory University Atlanta
Vortrag in englischer Sprache, Diskussion auf Deutsch und Englisch

Die Diskussionen über die Beschneidung von Jungen, die Europa und Nordamerika im vergangenen Jahrzehnt in Aufruhr versetzten, scheinen sich hauptsächlich um die gesundheitlichen Aspekte der Beschneidung zu drehen und die Frage, ob die Praktiken den Gesundheitszustand des Kindes verbessern oder verschlechtern. Während diese Diskussionen bereits sehr alt sind und von jeher den kulturellen Status der Beschneidung reflektierten, ist die aktuelle Debatte interessant, da sie die Beschneidungspolitik in der modernen Welt reflektiert.

Di 17.06.14 18.30 Uhr Vortragsraum 2-023
„A Jewish Princess with a brand new nose“. Jüdisch-weibliche Körperbilder im 20. Jahrhundert
Anna-Dorothea Ludewig, Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam (MMZ)

Projektionsfläche und Leerstelle – diese beiden Begriffe beschreiben die Rezeption der Jüdin und des jüdisch-weiblichen Körpers in der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Trotz einer Fülle an künstlerischliterarischen Darstellungen, die im Spannungsfeld zwischen biblischer Heldin und femme fatale angesiedelt sind, entziehen sich jüdische Frauenfiguren einer klaren Zuordnung. Ab dem 19. Jahrhundert scheint der männlich-jüdische Körper, nicht zuletzt durch die antisemitische Zuweisung weiblicher Attribute, zu dem „jüdischen Körper“ schlechthin geworden zu sein. Vor diesem Hintergrund werden im Vortrag verschiedene tradierte Bilder und Stereotype weiblicher Körperbilder in Text und Bild vorgestellt und analysiert.

Mi 02.07.14 18.30 Uhr Vortragsraum 2-023
Lust, Sexualität und Verhütung im christlichen und jüdischen Kontext
Robert Jütte, Institut für Geschichte der Medizin (IGM) - Stuttgart

Eines der wichtigsten Gebote im Judentum betrifft die Zeugung von Nachkommen. Die hohe Wertschätzung der Nachkommenschaft im Alten Testament korrespondiert mit einer Gleichgültigkeit gegenüber der freiwilligen Ehelosigkeit, wie sie insbesondere im frühen Christentum als Ideal angesehen wurde.

Trotz des Zeugungsgebots existiert im Judentum kein generelles Verbot der Empfängnisverhütung. Nicht Männer, aber immerhin Frauen gestattet das jüdische Gesetz in Ausnahmefällen die Verwendung von Verhütungsmitteln. Frauen waren anders als Männer nicht zur Fortpflanzung verpflichtet. Die christliche Lehre über die Empfängnisverhütung greift damit nur zum Teil auf das jüdische Erbe zurück. Sie entwickelte sich auf der Grundlage von Texten des Neuen Testaments, die von der Jungfräulichkeit, der Ehe als Institution, dem ehelichen Verkehr, der Sünde sowie der „guten“ und „bösen“ Medizin handeln.

Kontakt

Institut für die Geschichte
der deutschen Juden (IGDJ)
Beim Schlump 83, 20144 Hamburg
Tel.: 040 - 42 838 - 2617
Fax: 040 - 44 808 66

E-Mail: igdj@public.uni-hamburg.de

http://www.igdj-hh.de